Ein Praktikum bei RISM: Bericht aus der Zentralredaktion in Frankfurt
Ulrike Schädel
Thursday, June 21, 2018
Der folgende Beitrag stammt von Ulrike Schädel, die im Wintersemester 2017/18 ein Praktikum in der Zentralredaktion machte.
Der Begriff RISM ist mir bei musikwissenschaftlichen Recherchen erstmals begegnet. Ein Zufall bot dann die Möglichkeit, ein fünfwöchiges Praktikum bei RISM zu absolvieren.
In der Zentralredaktion war alles vorbereitet: Ein Arbeitstisch im Büro der stellvertretenden Leiterin der Zentralredaktion Martina Falletta. Sie und andere Mitarbeiter arbeiteten mich sorgfältig ein und ich nahm an den Redaktionssitzungen teil. Das Team hat für mein Praktikum viel investiert und mir mehr gegeben, als ich in fünf Wochen einbringen konnte. Diese Wertschätzung für einen zukünftigen Musikwissenschaftler hat mich berührt.
Aktuell verwaltet die RISM-Datenbank den Nachweis über 1,1 Millionen historische Noten, die weltweit in Bibliotheken, Archiven, Klöstern, Schulen und Privatsammlungen aufbewahrt werden. Der RISM Online-Katalog bietet die Recherche nach Musikincipits an, die sehr hilfreich für die Handschriften ist. Der OPAC verfügt bisher über 1 Million Incipits. Ihr Nutzen liegt in der damit geschaffenen Unterscheidungsmöglichkeit von Musikstücken. Ein Incipit besteht aus mindestens zwei Takten des Beginns eines Musikstückes, jedenfalls so vielen, wie nötig zur eindeutigen Identifizierung sind. Bei einem mehrsätzigen Werk ist das oft eine ganze Reihe von Anfangstakten.
Meine erste Aufgabe war die Eingabe von Incipits mit Hilfe des Plaine & Easie Codes. Ausgangsmaterial war meist das Digitalisat einer Handschrift, wie einer Telemann-Kantate, aus dem Brüsseler Bestand. Dazu war es notwendig, die deutsche Kurrentschrift und verschiedene Notenschlüssel, vor allem die C-Schlüssels lesen zu können. Während diese beiden Fertigkeiten nach etwas Übung sicherer und schneller wurden, brauchte das Sichten und das Zuordnen der einzelnen Stimmen der Handschriften in das Gesamtwerk mehr Erfahrung. Die RISM-Kollegen erfassten die Struktur bereits beim Durchblättern. Als Ungeübte konstruierte ich als Hilfe dazu eine Tabelle, die die Systematik sichtbar machte. Manche Stimmen waren von mehreren Schreibern, deren Eigenarten mit der Zeit fassbar wurden. Für diese Arbeit verwendete ich viel Intuition. War das Incipit fertig, konnte man die Musik innerlich spüren. In den Büros der Zentralredaktion ist es sehr still. Telefone werden kaum benutzt. Die Atmosphäre beim Arbeiten war oft meditativ.
In der RISM-Datenbank sind ca. 30.000 Komponisten erfasst, darunter auch Evermod Groll. Die eher zufällige Entdeckung, des Buches Evermod Groll, von Franz Lederer in der Frankfurter Universitätsbibliothek, führte zu dem Auftrag, das Werkverzeichnis zu diesem Komponisten einzugeben. Groll lebte zwischen 1755 und 1810 und wirkte als Priester und Kapellmeister im Prämonstratenser-Orden. Bei dem Buch von Lederer handelt es sich um sogenannte entlegene Literatur. Zum Werkverzeichnis von Groll gehört auch der Nachweis der Verwahrung weiterer Drucke oder Handschriften. Der KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) verwies auf zwei weitere Exemplare. Nützlich ist auch die Suchmaschine Worldcat, die weltweit von Bibliotheken gespeist wird.
Die Zentralredaktion ist auch viel mit Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Es gilt zu vermitteln, dass es RISM gibt, wer RISM ist und neue Nutzer zu akquirieren. Neben der üblichen PR-Arbeit, spielen soziale Medien wie Facebook, Twitter und YouTube eine Rolle. Auf Facebook gibt es eine lebendige RISM-Seite mit einer internationalen interessierten Community und regelmäßigen Beiträgen aus aller Welt. Die Homepage von RISM wurde 2010 ins Leben gerufen. Auf der News-Seite befindet sich ein Blog mit relevanten Themen für die Nutzer, wie ein neues Bibliotheksigel, die Ergänzung eines Werkverzeichnisses oder den Hinweis auf eine Neuerscheinung.Platz ist auch für kreative Einfälle, wie die 2016 durchgeführte Vogelzählung in RISM, bei der in den Noten der Datenbank erfassten Vogelarten, aufgelistet wurden.Anlässlich des 100. Todestages von Claude Debussy schrieb ich einen Artikel für die Webseite.
Zunächst fiel mir die Umstellung vom Studium in die Arbeitswelt schwer: Die Einordnung in die Arbeitserfordernisse im Büro. Die Eingabe in die RISM-Datenbank selbst verlangte sorgfältige Arbeit und ruhige Geduld. Mit der Zeit erkannte ich die Tragweite dieser Tätigkeit. Es war mir kostbar, dazu etwas beizutragen. Die Organisation von RISM, erschien mir im Gegensatz zu dem Idealismus der Idee zunächst befremdlich institutionalisiert. Doch sie schafft den Raum für die achtsame Pflege von Musikkultur als historisches Erbe, ganz selbstverständlich vernetzt mit Wissenschaftlern 35 weiteren Ländern rund um die Welt, jenseits von Krieg und Politik.
Abbildung: Georg Philipp Telemann, Das Blut Jesu Christi, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt (D-F Ms.Ff.Mus 820), RISM ID no. 450003788.
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