Musikalische Entdeckungen in englischen Lokalarchiven

Stephen Rose

Friday, October 4, 2024

Im letzten RISM-Nachrichtenbeitrag wurde das Projekt Music, Heritage, Place: Unlocking the Musical Collections of England’s County Record Offices unter der Leitung von Royal Holloway, University of London vorgestellt. In diesem Artikel werden einige der Quellen hervorgehoben, die im Rahmen des Projekts neu entdeckt oder katalogisiert wurden, um die Bandbreite des musikalischen Erbes in diesen lokalen Archiven aufzuzeigen.

Das Derbyshire Record Office (GB-MTdro) besitzt einen einzigartigen Quellenkomplex zu Joseph Haydns Derbyshire Marches für Militärkapelle, Hob. VIII:1-2, der zwar den Herausgebern der Johann Haydn Werke bekannt war, durch die RISM-Katalogisierung jedoch neu erschlossen werden konnte. Die beiden Haydn-Märsche wurden 1794/5 von Sir Henry Harpur (1763-1819), 7. Baronet of Calke Abbey, für das von ihm in Derbyshire aufgestellte Kavallerieregiment in Auftrag gegeben. Die Manuskripte enthalten Haydns autographe Partitur des Marsches in C-Dur Hob. VIII:2 (RISM Catalog | RISM Online) sowie Quellen aus der Hand von Haydns Kopisten Johann Elssler mit Korrekturen des Komponisten, darunter eine Partitur des Marsches in Es-Dur Hob. VIII:1 (RISM Catalog | RISM Online), unvollständige Stimmensätze für beide Märsche (RISM Catalog | RISM Online) und Klavierbearbeitungen von beiden Märschen (RISM Catalog | RISM Online). Der Quellenkomplex enthält außerdem fünf Exemplare der bei Harpur erschienenen Druckausgabe (RISM Catalog | RISM Online). Autographe der Märsche in Es-Dur und C-Dur befinden sich in der Ungarischen Nationalbibliothek (RISM Catalog | RISM Online) bzw. Eisenstadt, aber die Quellen aus Derbyshire zeigen Haydns Überarbeitungen dieser Kompositionen und wie er Elsslers Abschriften sorgfältig korrigierte.

Joseph Haydn, Marsch in C-Dur Hob. VIII:2, autographe Partitur, fol.1r. Derbyshire Record Office, D2375/F/H/1/6/23/5. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des National Trust. Für weitere Informationen und Lizenzanfragen wenden Sie sich bitte an National Trust Images unter images@nationaltrust.org.uk. Die Reproduktion dieses Bildes ist ohne Genehmigung nicht gestattet.

Das Derbyshire Record Office besitzt auch Briefe der Familie Harpur, die sich auf den Auftrag, die Komposition und die Rezeption von Haydns Derbyshire Marches beziehen, sowie einen handschriftlichen Katalog von Henry Harpurs privater Musikbibliothek, zu der diese Quellen gehörten. Im Jahr 1994 wurden die Haydn-Manuskripte von der britischen Regierung aus dem Nachlass der Familie Harpur-Crewe erworben; das Eigentum an diesen Quellen wurde dem National Trust übertragen, der sie dem Derbyshire Record Office übergab. Dies ist ein Beispiel dafür, wie lokale Archive in England Quellen von hochrangigen Komponisten enthalten, die das Wissen aus den Manuskripten der großen Forschungsbibliotheken ergänzen und bereichern.

Das Musikleben im ländlichen England stand in engem Kontakt mit den neuesten Trends in London. Im 18. Jahrhundert verbrachten die „Personen von Rang“ die gesellschaftliche Saison in London und den Rest des Jahres in ihren Landhäusern. Musikalische Quellen spiegeln diese Bewegung zwischen London und dem Land oft wider. Das Musikbuch von Mary Orlebar (1730-1821) aus den Bedfordshire Archives (RISM Catalog | RISM Online), wurde um 1745 von dem Londoner Organisten Philip Hart kopiert. In den Haushaltsbüchern der Familie Orlebar wird ihr Leben zwischen London und Bedfordshire aufgezeichnet, einschließlich Marys Unterricht bei Hart. Ihr Notenbuch, das in Harts charakteristischer blumiger Handschrift mit vielen Verzierungen und Fingersätzen kopiert wurde, enthält Bearbeitungen von Konzerten von Albinoni, Corelli und Vivaldi sowie eine Ouvertüre, die 1730 in einem Pasticcio von Händel verwendet wurde. Es gibt auch Lieder, die mit den Londoner Vergnügungsgärten in Verbindung stehen. Orlebars Buch zeigt das Repertoire, das einem 15-jährigen Mädchen zur Verfügung stand, das in den 1740er Jahren Cembalo lernte, einschließlich konzertanter Arrangements, die ein hohes Maß an technischem Können erforderten.

Tomaso Albinoni, Concerto in e-Moll, op.2 no.4 arrangiert für Tasteninstrument. Mary Orlebar’s Music Book, fol.1r. Kopiert von Philip Hart. Bedfordshire Archives OR2183, mit freundlicher Genehmigung.

Viele Musikhandschriften in lokalen Archiven stammen aus Pfarrkirchensammlungen. Das Hymnenbuch von Richard Poole (1792) wurde in der Pfarrei von Withington, Gloucestershire, kopiert und ist in der Pfarrkirchensammlung von Kingsclere, Hampshire, erhalten (RISM Catalog | RISM Online). Die elegante Kalligraphie und der kunstvolle Titel (Choice Collection of Anthems…) deuten darauf hin, dass Poole dieses Manuskript für eine gedruckte Veröffentlichung vorgesehen hatte. Es enthält 149 Hymnen von Komponisten aus London wie Henry Purcell, John Blow und William Boyce sowie von Komponisten aus der Region wie William Knapp, Joseph Key und Capel Bond. Sie enthält auch Werke von Poole selbst sowie die Gemeinschaftskomposition O sing unto the Lord a new song (RISM Catalog | RISM Online) „by several authors of the Musical Society…composed for the general thanksgiving for the recovery of His present majesty“ [König Georg III], mit Teilen, die sechs (vermutlich Amateur-)Komponisten zugeschrieben werden. Purcells Hymnen würden normalerweise zum Repertoire von Kathedralchören gehören, aber Poole passte sie für Gemeindesänger an, indem er die Stimmen in den von Amateurmusikern bevorzugten G-Schlüssel setzte und nicht in den C-Schlüssel, der normalerweise in Purcells Quellen zu finden ist. Weitere Forschungen könnten zeigen, wie Poole in seinem Dorf in Gloucestershire an Kopien des Repertoires der Kathedralchöre gelangte.

Henry Purcell, Rejoice in the Lord alway, bearbeitet im G-Schlüssel für Kirchenchor. Richard Poole Anthem Book, S. 54, Hampshire Archives, 90M72/PZ33. Die Digitalisierung und Katalogisierung wurde vom Hampshire Archives Trust finanziert.

Die Erkenntnisse über diese Quellen sind das Ergebnis der Arbeit unseres Forschungsteams, dem Andrew Frampton, Caro Lesemann-Elliott und Stephanie Carter sowie studentische Hilfskräfte wie Lizzy Buckle und Sophie Currie angehören. Diese Arbeit zeigt einmal mehr, wie wertvoll die RISM-Datenbank ist, wenn es darum geht, Verbindungen zwischen kontinentaleuropäischen Komponisten und musikalischen Quellen in englischen Archiven aufzuzeigen. Wir freuen uns darauf, in den nächsten zwei Jahren weitere Entdeckungen mit der RISM-Gemeinschaft zu teilen.

Abbildung oben: Richard Poole Anthem Book, Titelblatt. Hampshire Archives, 90M72/PZ33. Digitalisierung und Katalogisierung finanziert durch den Hampshire Archives Trust.

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Kategorie: Bibliotheksbestände


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